Erinnerungkultur will neue Wege gehen: MESUSA: Digitaler Atlas der “Arisierung“

Der gemeinnützige Verein Anti Defamation Center (Berlin) startet in Kooperation mit dem Lander Institute for Holocaust Communication and Tolerance am Touro College Berlin die Vorbereitung für das Vorhaben „Mesusa: Digitaler Atlas der „Arisierung““ als Projekt einer neuen, digitalen Erinnerungskultur.

Dieser Atlas soll erstmalig die geraubten Immobilien digital, umfassend erfassen und die Besitzer vor, während und nach der “Arisierung” dokumentieren und in einer entsprechenden Datenbank unter Open Access hinterlegen. Geschichte soll so aufgearbeitet und öffentlich für jeden frei zugänglich werden.

Durch eine digitale Mesusa sollen in fünf Sprachen (Deutsch, Englisch, Iwrit, Arabisch und Türkisch) drei Grundinformationen angeboten werden: Wer war der Besitzer vor, während und nach der „Arisierung“. Ziel ist es: Jede(-s) „arisierte“ Immobilie, Haus, Wohnung oder Unternehmen soll eine „Mesusa“ erhalten, die Auskunft über den beraubten Besitzer gibt. Wo möglich und vorhanden, sollen diese drei Grundinformationen mit vertiefende Informationen ergänzt werden. Vorgesehen ist ein partizipativer Ansatz, sodass Betroffene Informationen zur Verfügung stellen und ihre „Fälle“ wissenschaftliche Aufarbeitung und Dokumentation erfahren können.

Unter einer MĒSUSA versteht man in der jüdischen Tradition eine gesegnete Türpfosten-Inschrift eines Gebäudes oder einer Wohnung in jüdischem Besitz oder Nutzung. Sie wird erreichbar im oberen Drittel auf der rechten Seite am Eingang montiert. Ähnlich wie Stolpersteine, soll die jeweilige Gedenktafel als symbolische „Mesusa“ öffentlich angebracht werden: Einmal im Web und wo möglich einmal am Haus auf Augenhöhe.

Eine App soll besonders Jugendliche und Schulen ansprechen. Flankierend soll ein ein multimediales Informationsangebot zur Schoa und eine umfängliche Linkliste  über die App und Website zur Verfügung gestellt werden.

Erste prominente Stimmen aus Wirtschaft, Kunst&Kultur, Wissenschaft und vorm. Politik unterstützen dieses Vorhaben: Elio Adler, Edwin Baumgartner, Volker Beck, Gerd Buurmann, Yorai Feinberg, Mag. Michael Grauss, Dr. Rafael Korenzecher, Markus Löning, Ben Salomo, Peter Sichrovsky, Dr. Jürgen Sudhoff, Sacha Stawski und Attila Teri.

„Der Raub des Eigentums jüdischer Bürger im Rahmen der sogenannten Arisierung gehört zu den verdrängten Kapiteln unserer Vergangenheit. Viele nichtjüdischen Deutschen bereicherten sich daran genauso wie der deutsche Staat. Die Restitutionspraxis nach dem Krieg war unzureichend, die Zwangssituation für jüdische Bürger, ihr Vermögen unter Preis zu veräußern, wurde von den Behörden und Gerichten allzu oft geleugnet. Es ist wichtig, diesen antisemitschen Raubzug zu erinnern. Er ging der Shoah voraus.“, so Volker Beck.

Oder Markus Löning (Beauftragter der Bundesregierung für Menschenrechtspolitik und Humanitäre Hilfe a.D., Unternehmer): „Mesusa“ ist ein herausragendes, ganz besonderes Projekt. Ich halte es für eine wunderbare Art einzelne Menschen wieder sichtbar zu machen und ihre Namen, Gesichter und persönliche Geschichte vor dem Vergessen zu bewahren. Die Verknüpfung der Mesusa mit einer digitalen Datenbank gibt dem Projekt eine Informationstiefe, die über Namensplaketten weit hinausgeht. Lebenszusammenhänge und vergessene Menschen unserer Stadt werden so auf ganz besondere, individuelle Weise geehrt.“

Ziel ist es, dass dieser Atlas mit den ersten 100 Mesusot – also dokumentierten „Arisierungen“ mit Schwerpunkt Berlin und Wien – im November 2019 online geht.

„Wir sind überzeugt, dass die deutsche Gesellschaft und Öffentliche Hand hier ihre Verantwortung wahrnehmen und dieses Projekt finanziell möglich machen wird“, zeigt sich Izi Aharon, Vorsitzender des Projektträgers „Anti Defamation Center“, überzeugt.

Dekan Prof. Dr. Peter Klein vom Lander Institute for Holocaust Communication and Tolerance: „Als praxisorientierter Studiengang lehren wir nicht nur die Geschichte des Holocaust, sondern vielmehr den kommunikativen Umgang mit diesem Erbe, wofür das Projekt Mesusa ein Beispiel ist.“

Dazu soll ergänzend eine Crowdfundingkampagne Anfang September gestartet werden. „Bis zum Start werden sicher weitere namhafte Personen des öffentlichen Lebens wie Organisationen dieses Vorhaben unterstützen, was das Crowdfunding tragen wird“, zeigt sich Fundraisingmanager Naftali Neugebauer überzeugt, der Organisationen wie Bürger zur Mitarbeit und zur Unterstützung einlädt.

„Es wird eine gemeinsame Anstrengung werden und zeigen, ob sich in Deutschland und Österreich für diesen neuen Weg einer digitalen Erinnerungskultur und Aufarbeitung hinreichend Unterstützung finden lässt.“, so Neugebauer abschließend.

Rektorin des Touro College Berlin, Sara Nachama, erklärt: „Das Projekt Mesusa lässt zweierlei entdecken. Einmal das jüdisch geprägte Berlin der 1930er Jahre anhand der Adressen, und zweitens das Ausmaß begangenen Unrechts anhand der Schicksale.“